Bauernsprecher Hans MeisterWas ist gerecht?

Was ist gerecht?

Ist es gerecht, dass die Erzeugerpreise für Lebensmittel sinken, die großen Handelsketten aber immer reicher werden? Ist es gerecht, dass die Megakonzerne für ihre Gewinne weniger Steuern zahlen als ein durchschnittlicher Arbeitnehmer? Ist es gerecht, von den heimischen Landwirten die strengsten Umweltauflagen zu verlangen, wenn die gleichen Produkte – ohne Auflagen und ohne Prüfung – aus anderen Ländern importiert werden dürfen?
Das sind nur einige der Fragen, die sich viele Menschen stellen und mit denen sich auch viele unserer Leser beschäftigen. Es ist die Frage nach Gerechtigkeit. Gerechtigkeit regeln die Beziehungen von Menschen zu anderen Menschen. Am stärksten geprägt wird unser Gerechtigkeitsempfinden vom gesellschaftlichen Umfeld, in dem wir leben, davon, woran wir glauben, und von den Vorstellungen, die uns unsere Eltern von Gerechtigkeit vermittelten.
In einem Rechtsstaat ist die Gerechtigkeit das oberste Ziel. Die Verfassung und die Gesetze schreiben die Regeln fest, die im Staat gelten, und diese Gesetze gelten für alle Menschen gleich. Was aber, wenn der Staat den Eindruck erweckt, dass er nicht in der Lage oder gewillt ist das entsprechend umzusetzen? In wirtschaftsliberalen Gesellschaften wird der Einfluss des Staates zurückgedrängt. Der Markt soll alles Wesentliche regeln, welche Löhne bezahlt werden, welchen Preis du für deine Produkte bekommst. Aber der Markt ist nicht gerecht. Der Markt regelt das, indem er dem Prinzip des Stärkeren folgt. Wirtschaftsliberale begreifen den Markt als Ausleseprozess. Quasi als Naturgesetz. Die Starken, vielleicht aber auch nur die Skrupellosesten, setzen sich durch, die Schwächeren gehen unter. Das ist aber nicht die Gerechtigkeit, wie sie in den Verfassungen unserer demokratischen Staaten definiert ist.

Franklin D. Roosevelt, US Präsident von 1933 bis 1945, setzte in den Jahren der Weltwirtschaftskrise seinen „New Deal“ durch, in dem der Staat regulierend in die Märkte eingriff. In seiner Ansprache an die Nation erklärte er das folgendermaßen: „Die unfairen zehn Prozent konnten so billig Güter produzieren, dass die fairen 90 Prozent sich gezwungen sehen, die unfairen Bedingungen zu übernehmen. Hier kommt der Staat ins Spiel. Der Staat muss das Recht haben und wird das Recht haben, nach Studien und Planung für eine Branche und mit der Unterstützung der überwiegenden Mehrheit dieser Branche, unfaire Praxis zu verhindern und dieses Abkommen mit der Autorität des Staates durchzusetzen.“

Heute ist die politische Richtung genau umgekehrt. Statt da und dort zu regeln, wird dereguliert. Frei nach dem Motto: der Markt wird das schon regeln. Es ist für unsere Demokratie gefährlich, wenn immer mehr Menschen bezweifeln, dass es gerecht zugeht, weil sie das Gefühl haben, dass eben nicht alle gleich behandelt werden. Dass nicht nur die Unterschiede zwischen arm und reich größer werden, sondern auch die Ungerechtigkeiten gegenüber jenen, die sich nicht die teuersten Anwälte leisten können und die, die keine Lobby haben, die ihre Interessen gegenüber den Märkten und der Öffentlichkeit durchsetzen. Gerechtigkeit heißt Chancengleichheit für alle, das darf aber nicht nur den Märkten überlassen werden.

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