Tirol ist Österreichs Almenland Nr. 1: Rund 2.070 Almen mit einer Fläche von 378.400 Hektar werden bewirtschaftet. Neben einer wichtigen Basis für die viehhaltende Landwirtschaft und damit die Lebensmittelproduktion stehen die hohe Biodiversität, der Nutzen für Freizeit- und Tourismuswirtschaft und der Schutz vor Naturgefahren auf der langen Liste positiver Effekte, die mit der Almwirtschaft einhergehen.
Die Almwirtschaft hat in Tirol Tradition und wurde über Jahrtausende aufgebaut. Die Almzahlen des Jahres 2021 sind erfreulich und deprimierend zugleich: „Erfreulich schaut die Entwicklung der Milchkühe auf den Tiroler Almen aus. Nach jahrelangen Rückgängen haben wir im Jahr 2021 eine Steigerung um 1% der Auftriebszahlen erreicht. Die neueingeführte Alm-Milchkuhprämie des Landes Tirol erfüllt damit das Ziel. Problematisch wird der Schafauftrieb nach dem starken Rückgang im Jahr 2020 um mehr als 3.000 aufgetriebene Schafe. Im Jahr 2021 wurden zumindest noch ca. gleich viele Schafe wie im Vorjahr aufgetrieben. Nach Angriffen von großen Beutegreifern wurden insgesamt 2.111 Weidetiere von unmittelbar betroffenen Almen vorzeitig abgetrieben. Zusätzlich verließen noch ca. 2.300 gealpte Schafe und Ziegen vorzeitig die Alm – ein großer Teil fällt dabei auf Almen in unmittelbarer Nähe zu den Wolfsangriffen, die ihre Tiere vorsorglich ins Tal gebracht haben“, gibt Almwirtschaftsvereinsobmann Josef Lanzinger einen Überblick und stellt weiter klar: „Wolf und Bär sind mit unserer Almwirtschaft nicht zu vereinen. Das hat auch weitreichende wirtschaftliche Konsequenzen, die gerne außer Acht gelassen werden.“
Wichtiger Wirtschaftsfaktor bedroht
„Unsere Almen sind ein wichtiger Bestandteil der kleinstrukturierten Tiroler Landwirtschaft. Sie dienen aber auch als Naherholungsgebiete für Einheimische und Touristen gleichermaßen und sind damit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Zugleich sind bewirtschaftete Almen ein Garant für Biodiversität und was oft außer Acht gelassen wird: Sie schützen die darunterliegenden Siedlungsräume vor Naturgefahren wie Muren oder Lawinen“, hebt LK-Präsident Josef Hechenberger den hohen Stellenwert der Almwirtschaft für die gesamte Gesellschaft hervor.
Maßgeblich geprägt war die heurige Almsaison durch die zahlreichen Probleme mit großen Beutegreifern. Mindestens 311 Tiere sind allein heuer nachweislich durch große Beutegreifer gerissen worden. 60 entfallen auf Bärenangriffe, der Rest wurde durch Wölfe getötet. Zusätzlich steht die Auswertung bei fünf weiteren Rissen noch aus und 133 Tiere sind im Zusammenhang mit Angriffen abgängig. „Stellt man diese Zahlen mit jenen der vergangenen Almperioden gegenüber, so sieht man, dass Risse und die Zahl der in Tirol nachgewiesenen Wölfe extrem zunehmen. Corona sei Dank sollte wir mittlerweile alle wissen: Exponentielles Wachstum kann nur durch wirkungsvolle Maßnahmen gestoppt werden.“ Von einer praxistauglichen Lösung ist man allerdings noch weit entfernt: „Wir haben jetzt auch auf den geschützten Heimweiden wöchentlich Risse zu verzeichnen. Dieser eine Abschussbescheid ist daher wichtig, aber noch zu wenig. Auch die Dauer, bis er erlassen wurde, muss diskutiert werden. Ich kann auch nicht erst im Sommer vor großer Lawinengefahr warnen. Da erwarte ich mir schnelleres Handeln.“
Derzeitige Lösung untauglich
Warum die aktuelle Situation so unzufriedenstellend ist, führt Bezirksobmann Elmar Monz anhand des zum Abschuss freigegeben Wolfs 118MATK aus: „Die ersten nachgewiesenen Risse des Tieres hat es bereits Ende Juni gegeben. Vermutlich war er aber bereits Mitte Mai für 11 gerissene Schafe in Umhausen verantwortlich, wo keine Genotypisierung mehr durchführbar war. Der Nachweis, dass die gerissenen Tiere tatsächlich von einem Beutegreifer erlegt wurden, kam dann wieder Wochen später. Von 25.06. bis zum 06.08. hat er insgesamt 42 Schafe auf vier Almen gerissen. Über eineinhalb Monate später dann erst die Einschätzung des Fachkuratoriums, wonach es sich bei 118MATK um einen Problemwolf handelt. Dieser reißt dann noch einmal und vom Zeitpunkt dieser Risse dauert es noch einmal 25 Tage, bis die Jäger wirklich ausrücken können“, beschreibt Monz die Sicht der Bäuerinnen und Bauern.
Kämpferisch bleiben – Rückhalt suchen
Katrin Geir ist leidenschaftliche Ziegen-, Rinder- und Pferdebäuerin in Navis. Nach den Wolfsangriffen im vergangenen Jahr in ihrer Heimatgemeinde hat sie sich verstärkt mit der Beutegreiferthematik auseinandergesetzt. „Du gibst das ganze Jahr das Beste für deine Tiere. Was das ist, wird einem oft auch von außen diktiert. Und plötzlich kommen da Wolf und Bär und alles scheint egal. Schreckliche Bilder von gerissenen oder schwer verletzten Schafen machen die Runde und wir Bäuerinnen und Bauern hätten damit einfach zu leben“, schildert Geir.
Besonders stört sich Geir am Argument, wären die Schafe nicht gerissen worden, würden sie ja eh geschlachtet werden: „Klar sind unsere Nutztiere nicht nur zum Streicheln da. Aber gerade das ist für mich ein wesentlicher Punkt, warum es im Interesse aller sein sollte, die Alm und Weidewirtschaft zu erhalten. Denn opfern wir diese dem Wolf, verbannen wir die viehhaltende Landwirtschaft immer weiter hinter hohe Mauern oder auf andere Kontinente. Was das mit Tier- und Artenschutz sowie Nachhaltigkeit zu tun haben soll, frage ich mich.“ Das sei auch der Punkt, der den Menschen vor Augen geführt werden müsste: „Wir Bäuerinnen und Bauern machen unsere Arbeit vor allem, weil wir sie gern tun und nicht, weil sie besonders ertragreich ist. Die Hilflosigkeit in der Thematik raubt einem aber jede Freude und es ist kein Wunder, dass dabei viele ans Aufhören denken. Ich bin der Meinung, wir müssen entschlossen bleiben und sowohl der Politik als auch der breiten Gesellschaft diese Probleme aufzeigen und uns Partner suchen. Wenn alle an einem Strang ziehen, muss es auch möglich sein, hier endlich etwas zu bewirken. Aus Verantwortung für die nächste Generation!“
Vor Almsommer 2022 braucht es Klarheit
„Wir haben in Abstimmung mit unseren Bezirksstellen alle offenen Punkte zusammengefasst. Besonders was die Beprobung und die Auswertung angeht, muss künftig schneller ein Ergebnis vorliegen. Ansonsten muss die amtstierärztliche Begutachtung bzw. Einschätzung als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden. Dementsprechend muss das Expertengremium unverzüglich tätig werden, es darf nicht mehr so viel Zeit bis zu einer Entscheidung verstreichen. Daher braucht es ein besseres, länderübergreifendes Monitoring. Im Zuge dessen soll im Auftrag des Landes auch geprüft werden, inwieweit jene Ausnahmeregelungen, wie sie in anderen Ländern gelten, auch für Tirol umsetzbar wären“, fasst Hechenberger zusammen.
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