LANDWIRT 2023 Nr. 22
Ackerbau 22-2023 49 tiven zur Verfügung. Der chemische Pflanzenschutz bleibt damit auf abseh- bare Zeit essentiell für das Erreichen des von der UNO gesetzten Ziels von „Zero Hunger“ in der Welt. Biodiversität bleibt Ungeachtet der Konsequenzen bei Ver- zicht auf chemischen Pflanzenschutz, nimmt die Skepsis gegenüber moder- nem Pflanzenschutz eher zu, was eine bedenkliche Entfremdung der Gesell- schaft von der landwirtschaftlichen Realität zeigt. Diese Vorbehalte spie- geln sich im aktuellen Vorschlag SUR der EU zur Beschränkung des Pflan- zenschutzmitteleinsatzes wider. Unter- stützt wird diese Politik durch Studien, in denen allein die Existenz geringster Spuren von Substanzen zum Risiko erklärt wird, ohne dass relevante Wirk- samkeiten unter realen Bedingungen dargestellt sind. Anforderungen, die der Pflanzenschutz bereits erfüllt, wie höhere Selektivität, schnellere Abbau- barkeit, geringere Anwendungsdosis und Toxizität, werden außer Acht gelassen. Die EU begründet die Einschränkun- gen im Pflanzenschutz mit dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher, der Anwender und der Natur. Diese Be- gründungen sind aus wissenschaftli- cher Sicht nicht haltbar. Nachdem das Argument gesunder Lebensmittel nicht mehr greift, denn Lebensmittel aus konventioneller Produktion sind nach- weislich sicher, konzentriert sich die Kritik nun auf Biodiversitätsverluste durch Pflanzenschutzmittel. Auch wenn Artenverluste immer wieder ver- mutet werden, gibt es kein einziges wis- senschaftlich belegtes Beispiel für Ar- tenverlustedurchPflanzenschutzmittel. Diese Vorstellung beruht auf einem Missverständnis von der Wirkung mo- derner Pflanzenschutzmittel. Das Kon- zept des chemischen Pflanzenschutzes besteht in der Regulierung von Schad- erregern unter die wirtschaftliche Schadensschwelle, nicht aber in deren Eliminierung. Kein Schaderreger ist bisher durch chemischen Pflanzen- schutz verschwunden. Und wenn selbst die Schadorganismen, auf die Pflan- zenschutzmittel direkt abzielen, als Ar- ten nicht verloren gehen, dann ist ein Verlust von Nichtzielorganismen noch unwahrscheinlicher. Die neue Pflanzenschutzrichtlinie ver- folgt berechtigte Ziele, denn gesunde Lebensmittel und eine belebte Umwelt sind zu bejahen. Da sie aber auf einer falschen Grundannahme beruht, wer- den die erhofften positiven Wirkungen nicht eintreten, sondern vorrangig negative Effekte. Unberücksichtigt bleibt bei dem EU- Vorschlag auch der seit Jahrzehnten anhaltende Rückgang von Risiken für Verbraucher oder Anwender. Das Um- weltrisiko durch Pflanzenschutzmittel ist zwischen 1996 und 2010 in Deutsch- land für terrestrische Organismen um 42–66 % und für aquatische Lebewesen um 22–65 % gesunken. Wichtiger ist aber, dass diese Verbesserungen nicht durch EU-Verordnungen, sondern allein durch technischen Fortschritt und das bestehende strenge Zulas- sungsverfahren erreicht wurden. Folgen des Verzichts Fehlender Pflanzenschutz wird erheb- liche Einschränkungen im Anbau mit sich bringen. Invasive Arten, neue Pa- thogene und veränderte Virulenzen könnten so in Zukunft problematisch werden. Ein Beispiel von vielen ist die Schilfglasflügelzikade, die zum Über- träger von Phytoplasmen wird. Diese lösen in Zuckerrüben und Kartoffeln schwere Erkrankungen aus. Unzurei- chender Pflanzenschutz bedeutet in vielen Regionen das Ende von Kulturen wie Gemüse, Obst, Hopfen und Wein. Aber auch negative ökologische Effekte sind zu erwarten. Durch den Verzicht auf chemischen Pflanzenschutz neh- men die mechanische Bodenbearbei- tung und damit negative Effekte für Bodenleben und Erosionsschutz zu. Durch das Beizverbot mit Insektiziden nehmen auch hier weniger effektive Behandlungsverfahren zu. Die geplante Pflanzenschutzrichtlinie SUR würde auch Auswirkungen auf die EU-Handelsbilanz mit Agrargütern und Lebensmitteln haben. Verschiedene Studien gehen hier von Produktions- rückgängen um etwa 20 % aus. Als Folge würde die EU in der Getreidehandels- bilanz vom Exporteur zum Importeur werden und die Weltgetreidemärkte erheblich belasten. Von anderenWettbe- werbern wird dies sicher als Chance zur Steigerung ihrer Exporte angesehen werden. Sie liefern dann das Getreide mit schlechteren ökologischen Stan- dards. Effektiver Pflanzenschutz als zentraler Bestandteil des Integrierten Pflanzen- schutzes wird auch in Zukunft die Grundvoraussetzung für eine nach- haltig-produktive Pflanzenproduktion bleiben. n Andreas von Tiedemann ist Agrarwissen- schaftler an der Universität Göttingen. Pflanzenschutzmittel sichern die Erträge unserer Nutzpflanzen.
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