AgrarpolitikBauernproteste: Zu viel ist zu viel!

Bauernproteste: Zu viel ist zu viel!

Bauernproteste
Den Abschluss der Protestwoche bildete am 15. Januar eine Großkundgebung in Berlin. Allein hier rollten 5.000 Traktoren an.
Quelle: Positiv Berlin/shutterstock.com

Stimmen aus Deutschland

Der Politik fehlt der Weitblick und das Wissen

 – Ulrich Westrup, Landwirt aus Osnabrück/Niedersachsen
„Wir im Norden sind bekanntlich ein eher ruhiges Volk. Da braucht es schon viel, bis wir einmal protestieren. Aber die schlechte Arbeit der Bundesregierung in der letzten Zeit hat das Fass auch bei uns zum Überlaufen gebracht. Sie hat keinen verfassungskonformen Haushalt zustande gebracht und braucht nun dringend Geld.

Deshalb hat sich die Ampel-Koalition gedacht, sie holt sich von uns Bauern 900 Millionen Euro. Gleichzeitig fordern Politik und Gesellschaft Änderungen beim Tierwohl und Naturschutz. Wenn wir das in Deutschland wollen, müssen wir es aber auch irgendwie finanzieren. Mit den günstigen Lebensmittelpreisen funktioniert es auf jeden Fall nicht.

Deutschland abzuschotten und den Import einzustellen, ist ja auch keine Lösung. Das können wir uns als Exportland nicht erlauben. Die Politik muss ihr Denken ändern. Wir sollten uns in Deutschland nicht immer als weltweiter Vorreiter verantwortlich fühlen. Warum muss bei uns alles per Verbot und über Auflagen geregelt werden? Z. B. die angestrebten 30 % Bio-Anteil in der deutschen Landwirtschaft. Hierfür ist kein Markt vorhanden, die Vorgabe macht so vielmehr die Preise kaputt. Die Politik sollte lieber übergeordnete Ziele festlegen, die sie bis zum Tag X erreichen will. Dafür muss sie Geld bereitstellen. Dann sollte sie die Wirtschaft einfach mal machen lassen.

Aktuell kann ich nicht einschätzen, wie sich die Dynamik bei den Protesten entwickelt. Spätestens im Frühjahr können wir Landwirte nicht mehr protestieren. Dann müssen wir wieder aufs Feld. Aber es hat sich herauskristallisiert, dass nicht nur wir Landwirte unzufrieden sind. Auch andere Berufszweige, wie das Handwerk und Speditionen, haben sich uns angeschlossen. Und ich habe das Gefühl, dass die Sorgen der Landwirte endlich einmal bei der Bevölkerung angekommen sind. Das ist ein guter Effekt. Es geht hier auch um die Anerkennung unserer Arbeit.“


Die deutschen Bauernproteste: eine Chronologie

  • Ende 2021: Die Bundesregierung darf Kredite über 60 Mrd. Euro zur Bekämpfung der Pandemie aufnehmen. Bei Sondervermögen gilt die Schuldenbremse nicht.
  • Februar 2022: Die Kredite werden nicht abgerufen. Die Bundesregierung überträgt sie deshalb in den Klima- und Transformationsfonds (KTF).
  • November 2023: Die Verfassungsrichter erklären nach Klage der Unionsfraktion die Verschiebung für verfassungswidrig. Es fehlen 13 Mrd. Euro im Haushalt 2024.
  • 13. Dezember 2023: Bundeskanzler, Wirtschaftsminister und Finanzminister präsentieren ihre Sparpläne. Die KFZ-Steuerbefreiung für Landwirte und der Agrardiesel sollen wegfallen. Einsparpotenzial: 900 Mio. Euro. Die Landwirte kündigen Proteste an.
  • 4. Dezember 2023: Die Streichung der KFZ-Steuerbefreiung ist vom Tisch. Der Agrardiesel soll aber stufenweise bis 2026 wegfallen.
  • 5. Januar 2024: Rund 250–300 Landwirte hindern Wirtschaftsminister Robert Habeck am Verlassen einer Fähre. Zuerst heißt es, die Landwirte wollten die Fähre stürmen. Später meldet die Polizei: Die Demonstration war friedlich, jedoch hätten etwa 25–30 Störer die Situation unterwandert.
  • 8. bis 15. Januar 2024: Der Kompromiss reicht den Landwirten nicht. Eine Woche lang machen sie ihrem Unmut über die Politik Luft. Die Bevölkerung steht großteils hinter den Landwirten. Polizei und Ordnungsämter loben die friedlichen Ablauf des Protestes. Die Angst vor der Übernahme durch rechtsextreme Gruppierungen bewahrheitet sich nicht. Die landwirtschaftlichen Verbände distanzieren sich früh von solchen Strömungen.
  • 14. Januar 2024: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir schlägt eine Tierwohlabgabe auf Fleisch und Milch als Ersatz für den Agrardiesel vor.
  • 15. Januar 2024: Die Fraktionsspitzen der Ampel-Koalition treffen sich mit Vertretern von acht Landwirtschaftsverbänden. Die Politiker kündigen einen Entschließungsantrag mit Maßnahmenpaket an.
  • 17. Januar 2024: Der versprochende Antrag enttäuscht. Statt eines Zeitplans für konkrete Maßnahmen enthält er lediglich einen Fragenkatalog.
  • 19. Januar: Nach langem Ringen steht der Bundeshaushalt 2024. Der Haushaltsausschuss des Bundestags beschließt einen Etat 476,8 Milliarden Euro. Die Verteuerung des Agrardiesels bleibt.


Die Bilder sind schon eine Macht

– Albert Gresser, Landwirt aus Wangen/Baden-Württemberg
„Ich habe an einigen Protestfahrten, Kundgebungen und Mahnfeuern teilgenommen. Überall kam viel Zuspruch aus der Bevölkerung. Menschen standen am Straßenrand und haben den Daumen nach oben gezeigt. Die Bürger haben gemerkt, dass wir nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für alle auf die Straße gehen. Zuletzt war ein Drittel der Teilnehmer aus Handwerksbetrieben, Bauunternehmen oder dem sonstigen Mittelstand. Auch innerhalb der Bauernschaft gibt es einen ganz anderen Zusammenhalt als 2019. Damals haben sich manche Verbände noch gegen die Proteste gestellt, heute organisieren sie diese mit.

Die Bundesregierung muss endlich erkennen, dass sie mit ihrer Politik überzogenen Aktionismus betreibt, den die Bürger nicht unterstützen. Der bewirkt viele ungeklärte Fragen, wie z. B. bei Wolf und Biber. Die geplanten Einsparungen bei der KFZ-Steuerbefreiung und beim Agrardiesel werden heute oft nur als letzter Auslöser für die Proteste genannt. Dabei sollte man sie nicht kleinreden. Auf meinem Betrieb hätte ich durch die Regelbesteuerung von Diesel Mehrkosten von 2.500 Euro. Bei einem Schlepper mit 100 PS würde die KFZ-Steuer rund 500 Euro ausmachen. Der Wegfall der grünen Nummer bei der Milcherfassung würde uns Bauern pro Liter Milch 1,5 Cent kosten. Das Anheben der Maut schlägt beim Einkauf von Kraftfutter mit 30 Cent zu Buche. Durch diese vielen einzelnen Posten kommen enorme Summen zusammen. Da geht es dann nicht nur um ein- oder zweitausend Euro, die der Bauer im Jahr weniger verdient.“


So soll der Agrardiesel langsam verschwinden

  • Im Jahr 2023 verbrauchte Mengen Agardiesel erhalten wie gewohnt die Rückvergütung.
  • Im Jahr 2024 sinkt der Entlastungssatz von bisher 21,48 Cent/l um 40 %.
  • In den Jahren 2025 und 2026 soll die Rückvergütung um jeweils weitere 30 % reduziert werden.
  • Im Jahr 2026 verbrauchte Mengen Agrardiesel erhalten keine Rückvergütung mehr.


Ich kann nicht mehr Geld ausgeben, als ich habe

 – Christian Rottmar, Landwirt aus Leutkirch im Allgäu/Baden-Württemberg
„Die Politik hat in den letzten vier bis fünf Jahren Sachen gemacht, die uns und den Mittelstand heute auf die Straßen treiben. Die aktuellen Sparpläne waren zu viel. Gelder, um Wettbewerbsnachteile gegenüber Importen auszugleichen, streicht man uns seit Jahren. An anderen Stellen hat man aber genug Geld. Es gibt einen Inflationsausgleich, immer höhere Diäten für Politiker, der Anbau des Kanzleramts kostet 777 Mio. Euro. Zig Mrd. Euro Entwicklungshilfe stehen nicht zur Debatte. Länder, die Hilfe wirklich brauchen, sollen sie in einem überschaubaren Rahmen bekommen. Aber müssen wir China oder Indien finanzieren? Das gilt auch innerhalb Deutschlands. Wer am sozialen Tropf hängt, profitiert – wer arbeitet, hat das Nachsehen. Arbeit muss sich lohnen. Die Steuern sprudeln, trotzdem fehlt das Geld: Wir haben in Deutschland ein Ausgabenproblem.

Wir Landwirte würden mit kostendeckenden Preisen ohne Subventionen auskommen. Aber Deutschland will ja günstige Lebensmittel für alle. Dann kann man nicht ständig von Landwirten noch höhere Auflagen verlangen, die nicht finanziert werden können. Der Vorschlag mit dem Tierwohl-Soli ist nichts anderes als eine versteckte neue Steuer zur Verteuerung tierischer Produkte. Das Meiste wird hier sowieso wieder von Kontrollen und Verwaltung aufgefressen. Durch unsere Proteste verstehen die Verbraucher langsam, dass mehr Tierwohl und mehr Umweltschutz auf ihren Geldbeutel schlagen. Das wollen viele nicht. Hier muss die Regierung einsehen: Sie ist von jeglichen reellen Zielen abgehoben. Als gewählte Vertreter sollen Politiker das machen, was die Bürger wollen – nicht Ideologien verfolgen.

Hinzu kommt, dass viele politische Entscheidungen und Auflagen sich widersprechen oder gegen jegliche fachliche Praxis sind – z. B. wenn ich Wintergetreide oder Begrünungen zur Saat im Herbst nicht düngen darf. Dann sind die Kulturen von Beginn an anfälliger für Schädlinge, Krankheiten und Beikräuter. Da muss ich am Ende mit einer erhöhten Menge an Pflanzenschutzmitteln und Dünger ran, damit sie überhaupt noch werden. Und das soll dann für die Natur besser sein?“

 


Stimmen aus Österreich

Europa braucht einheitliche Regeln

 – Nicol Gradwohl, Landwirtin aus Burgau/Steiermark
„Solange in Europa keine einheitlichen Förderungen und Produktionsregeln gelten, finde ich es toll, dass die deutschen Bauern sich trauen und öffentlich aufzeigen, was hier alles schiefläuft. So viele Auflagen und Regeln wie wir in Österreich und Deutschland haben, sucht man in der ganzen EU und weltweit vergebens. Wie sollen wir da wettbewerbsfähig bleiben? Aktuell wird in Österreich das Thema Vollspaltenböden in der Schweinehaltung neu diskutiert. Bei uns sollen sie verboten werden und wenige Kilometer über unserer Grenze in Osteuropa sind sie erlaubt. Wo ist da der Sinn dahinter? Vielleicht sollten die Leute, die so etwas fordern, mal über den Tellerrand hinausblicken und nicht nur die heimische Landwirtschaft mit sich dauernd ändernden Regeln vor den Kopf stoßen. Ohne uns Landwirte gäbe es hier nicht diese touristisch wertvolle Gegend. Wir pflegen und hegen unsere wunderschöne Heimat. Auch darüber sollten unsere Kritiker einmal nachdenken.“


Investoren machen viel kaputt

 – Gernot Orthofer, Landwirt aus St. Jakob im Walde/Steiermark
„Das Streichen des Agrardiesels ist nur der Auslöser des Konfliktes. Die wahren Probleme kommen bei der jetzigen Diskussion oft zu kurz. Der zunehmende Bürokratismus und die Ohnmacht gegenüber steigenden Pacht- und Betriebsmittelpreisen treiben viele in den Ruin. Außerlandwirtschaftliche Investoren kaufen bestes Ackerland und treiben die Pachtpreise in Höhen, bei denen eine Lebensmittelproduktion nicht mehr rentabel ist. Hinzu kommen Energieerzeuger, die beste Produktionsflächen mit Photovoltaik zupflastern. Für den Landwirt selbst wird die Produktion von Photovoltaikstrom zunehmend unwirtschaftlich, da der Einspeisetarif von den Energieriesen bestimmt wird. Das alles bringt die landwirtschaftliche Urproduktion immer mehr in Bedrängnis. Den Bauern wird in vielerlei Hinsicht die Basis entzogen. Daher bin ich über die momentane Stimmungslage nicht überrascht. Ich war kürzlich in Rumänien. Sogar dort gehen die Bauern auf die Straße, weil sie mit dem Einkommen im letzten Jahr nicht mehr ausgekommen sind. Und bei uns liest man Meldungen, dass ein Bauer im letzten Jahr im Schnitt 115.000 Euro verdient hat.“


Die Proteste sind Fluch und Segen

 – Roman Weber, Landwirt aus Deutsch Kaltenbrunn/Steiermark
„Die Bauernproteste sollten nicht zu lange dauern, sonst kippt die Stimmung in der Bevölkerung. Sie sind gleichzeitig Fluch und Segen. Ich hoffe, dass die Proteste zumindest einen Nachdenkprozess bei den Politikern und NGOs auslösen. Sonst wird die Wertschöpfung in der heimischen Landwirtschaft drastisch sinken. Was ist die Konsequenz? Das Fleisch wird importiert und die Produktionsstandards legen andere fest. Wir wissen dann nicht mehr, was auf unseren Teller kommt. Grenzen schließen, funktioniert leider auch nur bedingt, wie man es bei Eiern und Putenfleisch sehen kann. Ich unterstütze auch jeden, der Tierwohl fordert und sich dafür an den Mehrkosten beteiligt. Das Problem ist aber: Wir Landwirte arbeiten intensiv mit der Forschung zusammen und wollen das Tierwohl verbessern. Leider ist aber nicht alles, was der Mensch für gut empfindet, auch tatsächlich für die Tiere gut. Zu der Erkenntnis sind wir schon öfters gekommen, nachdem wir Geld in Tierwohlprogramme investiert hatten, die den Tieren nichts brachten.“


Politiker müssen auf Praktiker hören

 – Klaus Erkinger, Landwirt aus Deutsch Kaltenbrunn/Burgenland
„Es ist höchste Zeit, dass die Bauern ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Sonst wird die Landwirtschaft an die Wand gefahren. In anderen Ländern werden der Umweltschutz und das Tierwohl hintangestellt und wir sollen zum Weltmarktpreis produzieren. Das kann nicht funktionieren. Den NGOs wird viel zu viel Gehör geschenkt, obwohl sie von der Landwirtschaft keine Ahnung haben. Unsere deutschen Nachbarn haben leider keine Vertreter in der Regierung. Sie sitzen auf der Oppositionsbank und können nur zusehen. Jede Regierung wäre gut beraten, für das Schaffen der Rahmenbedingungen Praktiker mit einzubeziehen. Ich finde die Demonstrationsfreiheit wichtig. Aber wenn die Regierung nach Protesten immer gleich nachgibt, wird bald keiner mehr arbeiten, sondern alle werden auf die Straße gehen.“

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