Schafe und ZiegenSchafDer Hütehund auf der Alm

Der Hütehund auf der Alm

Bevor man einen Hütehund auf der Alm einsetzen kann, braucht er unter jeder Pfote ein Jahr an Ausbildung und Erfahrung, besagt eine Faustregel.
Quelle: Andrea Sulig

Die Arbeit auf einer Schafalm ist für Hütehunde extrem anspruchsvoll. Die Herden bestehen häufig aus einem uneinheitlichen Mix verschiedener Schafrassen mehrerer Besitzer. Manche Schafgruppen kennen Triebwege bereits, andere sind zum ersten Mal auf der Alm. Auch die Topografie und die verschiedenen Wetterbedingungen stellen die Hunde vor große Herausforderungen. Die Ausbildung eines Hütehundes für die Alm und jene der Hirten, die den Hund führen sollen, muss der anspruchsvollen Arbeit auf der Alm gerecht werden. Im Talbetrieb sind Hunde zum Teil bereits mit zwei Jahren voll einsatzfähig – auf der Alm ist dies eher die Ausnahme. Eine Faustregel besagt: Jede Pfote braucht ein Jahr Ausbildung und Erfahrung, bevor ein Hund sämtliche Aufgaben auf einer Alm gewissenhaft übernehmen kann.

Die Grundausbildung

Folgende Übungen sollte ein Hütehund beherrschen, unabhängig davon, ob er auf dem Heimbetrieb oder auf der Alm zum Einsatz kommt:

  1. Auspferchen einer Schafgruppe (ca. 10–20 Schafe)
  2. Der Hund treibt die Schafe dem Hirten über eine vorgegebene Strecke selbstständig hinterher.
  3. Stabilisation der Schafe: die Schafe werden angehalten und Hirte sowie Hund tauschen ihre Position. Dabei sollten sich die Schafe möglichst wenig bewegen.
  4. Wegtreiben über ca. 30 m in eine vorgegebene Richtung mit Richtungskommando nach links und nach rechts ohne dass der Hirte dem Hund folgt, um diesen zu unterstützen.
  5. Einholen und Bringen der Schafe über eine Distanz von ca. 80 m
  6. Arbeit am Treibgang oder Fangen eines Schafes
  7. Einpferchen

Die Erfahrung

Beherrscht ein Hund die oben genannten Übungen, so muss er anschließend Erfahrung sammeln. Hunde sind situative Lerner. Das heißt, damit Hunde mit einer Situation so umgehen können, wie wir es von ihnen erwarten, müssen sie bereits mindestens einmal in dieser oder einer sehr ähnlichen Situation gewesen sein. Für einen unerfahrenen Hund ist es z.B. ungewohnt, dass er ein Tälchen, ein Schneebrett oder einen kleinen Fluss überqueren muss, um die Schafe zu erreichen. Beim Sammeln erster Erfahrungen sollte der Hirte immer in der Nähe des Hundes sein, um ihn nötigenfalls schnell unterstützen oder stoppen zu können.

Die Führung

Hütehunde sind bei der Arbeit meist so konzentriert, dass sie schnell die Welt rund um sich vergessen. Daher ist es wichtig, als Hundeführer vorausblickend zu führen. So lässt sich vermeiden, dass die Hunde sich selbst oder die Schafe auf der Alm in Gefahr bringen. Bevor man einen Hund losschickt, nimmt man idealerweise stets drei Perspektiven ein. Zuerst versuchst man die Welt aus den Augen des Hundes zu sehen. Kann er die Schafe überhaupt sehen? Anschließend folgt die Perspektive der Schafe. Können sie die Ankunft des Hundes sehen und werden sie anschließend von alleine erkennen, wo sie hinmüssen? Oder muss der Hund so gelenkt werden, dass er ihnen einen Ausweg absperrt, damit sie in die gewünschte Richtung laufen? Zum Schluss folgt die Außenperspektive auf die Gesamtsituation. Hat man selbst eine klare Vorstellung des Weges, den der Hund nehmen muss, damit er optimal bei den Schafen ankommt? Ist der Weg für den Hund machbar, ohne dass Absturzgefahr besteht? Verliert man den Hund oder die Schafe zeitweise aus den Augen und kann der Hund mit einer solchen Situation umgehen, ohne sich selbst oder die Schafe zu gefährden? Sind diese Fragen geklärt und man kommt zum Schluss, der Hund ist der Aufgabe gewachsen, kann er losgeschickt werden.

Schafe verstehen lernen

Die Reaktionen der Hunde werden immer von den Schafen, die sie vor sich haben, beeinflusst. Je kleiner eine Schafgruppe oder je schneller die Schafe die Flucht ergreifen, umso schwieriger sind die Schafe für die Hunde zu kontrollieren. Ein Hundeführer, der im Voraus beurteilen kann, wie Schafe auf die Ankunft des Hütehundes reagieren werden, kann den Hund ungemein unterstützen, indem er ihn so führt, dass er die Schafe nicht verrückt macht. Dies setzt selbstverständlich wiederum eine Grundausbildung des Hundes voraus, die eine solche Form der Führung überhaupt ermöglicht. Schätzt man eine Schafgruppe oder die Fähigkeiten des eigenen Hundes falsch ein, so erleben die Hunde einen Kontrollverlust und meist verfallen sie anschließend in frustriertes Jagen. Es entstehen chaotische und zum Teil sehr gefährliche Situationen. Es drohen tödliche Abstürze von Hund und Schafen. Am besten vermeidet man solche Situationen, indem man im Zweifelsfall selbst läuft. Im Winter hat man dann Zeit, den Hund kontrolliert weiterzubilden, so dass er nächstes Jahr auch mit schwierigen Situationen und Schafen umgehen kann. Hütehunde sind die wichtigsten Mitarbeiter der Schafhirten. Damit Hütehunde die von ihnen erwarteten Leistungen erbringen können, müssen sie gut gewählt, sorgfältig ausgebildet und wohl umsorgt sein. Mit etwas Glück darf man dann einige Jahre mit ihnen arbeiten und wunderbare Momente erleben, bevor sie schließlich, für ihre Arbeit bewundert und als guter alter Freund, in den wohlverdienten Ruhestand gehen dürfen.

14,7 km und 4.100 Höhenmeter pro Tag

Im Rahmen der vom Land Tirol finanzierten Herdenschutz-Projekte im Tiroler Oberland wurden im Jahr 2023 insgesamt vier Hütehunde (zwei Border-Collies, ein Kelpie und ein Leonesischer Pastor-Mischling) von Schafhirten auf zwei Herdenschutz-Projektalmen mit GPS-Sendern ausgestattet. Die Schafe (von 15 bzw. 30 verschiedenen Auftreibern) wurden auf beiden Almen untertags als kompakte Herde geführt und abends in elektrisch eingezäunten Nachtpferchen gesammelt. Die GPS-Sender haben bei Bewegung alle 30 Sekunden eine Koordinatenposition übermittelt, woraus die Bewegung der Hunde berechnet wurde. So wird zwar nicht die exakte Bewegungslinie abgebildet, durch das kurze Sendeintervall aber eine gute Annäherung davon. Im Durchschnitt hat jeder Hütehund eine Distanz von 14,7 km und rund 4.100 Höhenmeter pro Tag zurückgelegt. An Tagen, an denen die Hirten mit den Schafen zeitweise (zwischen zwei Stunden und ganztags) Schlechtwetterweiden nutzten, reduzierte sich die zurückgelegte Strecke der Hütehunde durchschnittlich um etwa ein Viertel und die Höhenmeter um etwa ein Drittel. Schlechtwetterweiden oder auch Mittagspferche haben entsprechend das Potenzial, Hütehunde zu entlasten. Durch die Arbeitsleistung der Hütehunde wird es überhaupt erst möglich, dass die Schafhirten die Schafe untertags als Herde kompakt zusammenhalten, sie gezielt auf Weideflächen führen und sie auch am Abend in Nachtpferche bringen können.

 

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