Bereits in der Bronzezeit hüllte sich der Mensch in tierische Fasern. Schnell kam man auf die Idee, die Haare mit scharfen Scherben abzutrennen, statt sie mitsamt der Haut zu nutzen und die Geschichte der Textilien nahm ihren Lauf. Man begann Schafe auch zur Wollproduktion zu züchten, erfand Scheren und somit wurde auch der Beruf des Schafscherers geboren. Trotz der Erfindung der elektrischen Schermaschine ist die Handschur jedoch bis heute nicht verschwunden. Im Gegenteil: Die Handschur wird wieder beliebter und es gibt eigene Wettbewerbe dafür. Aber was fasziniert Menschen weltweit an dieser uralten Technik?
Ruhe und Frieden
Viele verbinden Handschur mit dem romantischen Bild, wo ein alter Mann in einer idyllischen Landschaft sitzt und in aller Ruhe mit der Schere ein Schaf von seinem Winterpelz befreit. Vielleicht steht auch noch seine Frau daneben, sortiert die Wolle und im Hintergrund grast friedlich die restliche Herde, während die Enkel ein Lämmchen streicheln. Zugegeben, ganz so sieht Handschur nur noch selten aus. Aber die Ruhe und den Frieden gibt es noch. Während bei der Maschinenschur die Motoren dröhnen, oft laute Musik im Hintergrund läuft und die Schafe im Akkord über die Scherbank gedreht werden, wirken Handscherer ganz so, als hätten sie alle Zeit der Welt. Sie plaudern nebenbei, man hört nur hier und da ein Mäh und das leise, fortwährende Geräusch der Scheren. Irgendwie scheinen dabei auch die Schafe entspannter zu sein. Genau das war es, was mich vor über 20 Jahren zum Handscheren brachte und sicher auch heute noch viele dazu bewegt, sich einfach selbst mit der Schere an ihren Schafen zu versuchen. Ich muss aber auch zugegeben, dass das fehlende Geld ein weiterer Grund war, warum ich mich für die Handschur entschied. Ich konnte mir keine Maschine leisten und wollte keinen fremden Scherer an meine Schafe lassen. Die alte, gebrauchte Handschere bekam ich geschenkt. Sie war nicht toll, aber sie erfüllte ihren Zweck und für mich und meine paar Schafe war das ausreichend. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich genau das einmal hauptberuflich machen und es anderen Menschen beibringen werde, hätte ich ihn für verrückt erklärt.
Passendes Werkzeug wichtig
Diese alte Schere war fürchterlich steif, was schrecklichen Muskelkater verursachte und mit der Bankschurtechnik, die ich mir zeigen ließ, kann man beim Handscheren auch nicht viel anfangen. Außerdem war sie nicht sonderlich scharf, egal wer versuchte, sie zu schärfen und die Schafe sahen danach aus wie gerupft. Das passiert jedem, der sich ohne nennenswertes Vorwissen eine Handschere im Landhandel besorgt und drauf los schnibbelt. Dabei ist das Handscheren gar nicht so schwer und bei Weitem nicht so mühselig und langsam, wie man es sich vorstellt. Die Scheren, die professionelle Handscherer verwenden, unterscheiden sich enorm von denen, die man im Laden bekommt. Sie sind viel leichtgängiger, sodass man viel weniger Kraft zum Schneiden aufwenden muss. Sie gleiten leichter in das Vlies, sind viel schärfer und vor allem sind sie auf die Hand des Scherers angepasst. Um diese Anpassungen kümmert sich ein Profischerer selbst. Wer nur wenige Schafe schert, kauft sich am besten eine fertige Schere bei eben diesen Profis. Wenn das Werkzeug stimmt, ist die halbe Arbeit schon getan. Ein durchschnittlicher Handscherer schert bis zu 100 Schafe am Tag. Bei bauchfreien Schafen mit kurzen Schwänzen kann es sogar das Doppelte sein. Aber auch Anfänger und Gelegenheitsscherer schaffen es nach kurzer Zeit, ein Schaf in etwa 15 Minuten zu scheren. Sind wir mal ehrlich: Bei den ersten Versuchen mit der Maschine ist man auch nicht schneller.
Vorteile für Schaf und Vlies
Auch die Schafe haben Vorteile bei der Handschur: Der Stress bei der Schur kann auf ein Minimum reduziert werden. Abgesehen vom nicht existenten Lärm, wird auch die Haut der Schafe nicht gereizt, da man nicht direkt an der Haut schert und die Schere nicht heiß wird und nicht vibriert. Nicht zu unterschätzen sind die Effekte der an den Schafen zurückbleibenden Schicht Wolle. Diese schützt sie vor Sonne, Regen und Kälte. Sie können sofort wieder auf die Weide und auch die Schur im Herbst oder Winter ist trotz Weidegang kein Problem. Kollegen und ich konnten in eigenen, noch nicht wissenschaftlich begleiteten Versuchen beobachten, wie sich das auf das Wachstum der Lämmer auswirkt. So hatte Michael Churchouse (GB) hand- und maschinengeschorene Lämmer gewogen. In nur einer Woche nach der Schur hatten die handgeschorenen Lämmer im Schnitt etwas über 2 kg zugenommen, während die mit der Maschine geschorenen Lämmer nur 1 kg zunahmen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die maschinengeschorenen Schafe deutlich mehr Energie aufwenden müssen, um ihren Wärmehaushalt zu regulieren. Auch das Wollwachstum stagniert aufgrund des Hautstresses bei der Maschinenschur kurzfristig, was bei der Handschur nicht der Fall ist. Da es bei der Handschur zudem weniger Nachschnitt gibt, lässt sich so die Wollqualität steigern. Dies spielt zwar im europäischen Räum leider keine große Rolle mehr, aber geschadet hat eine bessere Qualität schließlich auch noch niemandem. Im Großen und Ganzen liegt die Faszination Handschur aber nach wie vor in der Ruhe und dem Frieden, den sie ausstrahlt. Wie mal einer meiner Handscherer-Kollegen treffend sagte: „Wir scheren im Takt des Herzschlags der Tiere.“
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