Im Begriff „Tierwohl“ steckt neben der Freiheit von Hunger und Durst, Schmerzen und Leiden, Angst und Unbehagen auch die Freiheit zum Ausleben des arteigenen Normalverhaltens. Ein wesentliches Kennzeichen für tiergerechte Haltungsformen ist der unkupierte und unverletzte Schwanz! Am geringelten Langschwanz lassen sich Gesundheit und Wohlbefinden rasch ablesen. Aber erst wenn viele Parameter in Einklang gebracht werden, ist die dauerhafte Haltung von Langschwanztieren möglich. Tierwohlprogramme haben meist nur den Mastbetrieb im Blick. Dass Schwanzbeißen seinen Anfang oft schon im Flatdeck oder sogar im Abferkelstall nimmt, wird häufig ausgeblendet. Deshalb ist langfristig nur eine durchgängige Tierwohlhaltung von der Geburt bis zum Mastende erfolgversprechend.
In Zukunft müssen alle österreichischen Schweinehalter Aufzeichnungen über Schwanz- und Ohrenverletzungen führen (Anm. Red.: in Deutschland gilt dies bereits seit 2019). Damit wird die Grundlage für eine objektive Selbsteinschätzung des Einzelbetriebes geschaffen.
Diese Dokumentation schafft aber auch die Möglichkeit, dass sich Betriebe untereinander verglichen können und darüber hinaus konkrete Hinweise liefern, in welchen Bereichen Verbesserungen sinnvoll und möglich sind.
Risikobereiche ausfindig machen
Die Bewertung der Haltungsumwelt am eigenen Betrieb erfolgt in Form der Risikoanalyse. Sie garantiert eine systematische Überprüfung der Haupteinflussfaktoren auf das Tierwohl und ermöglicht den Betriebsleitern, Schwachstellen zu erkennen und zu verbessern. Die siebenteilige Risikoanalyse bearbeitet alle wesentlichen Bereiche der praktischen Schweinehaltung. So können kritische Punkte ausfindig gemacht und die Tierhaltung verbessert werden, auch ohne den Fokus auf Schwanzbeißen zu legen.
Grundsatz für Probleme im Stall: Tiere sind aus dem Gleichgewicht gebracht. Ein anderer Begriff für „aus dem Gleichgewicht gebracht sein“ ist „gestresst sein“. Tiere können mit Stress lange gut umgehen. Erst bei Dauerbelastung „explodiert“ das Problem. Dies erklärt auch, warum oft unscheinbare Ursachen bei den Tieren große Reaktionen hervorrufen. Das Bild vom überlaufenden Fass ist hier hilfreich. Wenn man nicht genau hinschaut, sieht man nicht, ob ein Fass nur zur Hälfte oder fast ganz gefüllt ist. Sichtbar wird der Füllstand erst, wenn das Fass überläuft. Um ein solches Überlaufen zu verhindern, sind die folgenden sieben Bereiche besonders zu beachten:
1. Tierbeobachtung braucht Zeit
Auch wenn es abgedroschen klingt: Beobachten benötigt Zeit! Nur wer sich Zeit nimmt und den Fokus auf das zu beobachtende Merkmal legt, wird Veränderungen frühzeitig erkennen. Nehmen Sie sich die Zeit und schulen Sie Ihr Auge auf ein wesentliches Merkmal (z. B. Lahmheiten, Hautverletzungen, Augenausfluss, Husten, Schwanzverletzungen). Achten Sie beim Stallrundgang bewusst auf ein einziges Merkmal, um den Fokus nicht zu verlieren.
2. Beschäftigungsmaterial: Am Boden bleiben
Das Anbieten von Beschäftigungsmaterial darf nicht als lästige Verpflichtung gesehen werden. Dabei geht es im Kern weder um die Erfüllung
einer gesetzlichen Vorgabe noch darum, Tiere zu „bespielen“. Beschäftigung steht immer im Verhaltenskreis der Futtersuche und muss auch dieses Verhalten befriedigen.
Was der Artikel noch bereithält:
- Stallklima: Keine Angst vor „zu kalt“
- Einfache Lösungen für Zusatztröge
- Der lange Weg zum Ringelschwanz
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