Agrarpolitik„Die Vielfalt ist unser Reichtum.“

„Die Vielfalt ist unser Reichtum.“

Ein Interview von Roman GOLDBERGER und Lena ADLHOCH, LANDWIRT Redakteure

Herr Minister, wozu brauchen wir Agrarpolitiker, wenn schwere Krisen ohnehin nicht absehbar sind und Schweineund Milchviehhalter von der Macht des Marktes erschlagen werden?

Helmut Brunner: Weil die Agrarpolitiker die Aufgabe haben, Leitlinien zu gestalten. Wir bekennen uns ja auch zu einer sozialen Marktwirtschaft und nicht zu einer freien Marktwirtschaft. Ohne den Gestaltungsauftrag der Politik käme es noch zu wesentlich größeren Marktzerwürfnissen, und der Strukturwandel könnte zu einem Strukturbruch ausarten.

Die Signale, die die Europäische Kommission aussendet, zeigen aber eindeutig in Richtung Deregulierung der Märkte. Wie kann man von einem Milchbauern im Alpenraum verlangen, mit einem Betrieb aus Neuseeland wettbewerbsfähig zu sein?

Es ist in der Tat von Brüssel aus so gewollt, dass wir direkte Marktordnungen abbauen. Wir haben jetzt nur noch bei Zucker eine direkte Beschränkung, bei Milch ist die ja heuer bekanntlich ausgelaufen. Aber auf der anderen Seite ist der Agraretat in Brüssel nach wie vor der umfangreichste. Die EU bekennt sich also sehr wohl zur Landwirtschaft und unterstützt die Bauern für ihre Leistungen, die sie für die gesamte Gesellschaft erbringen. Wir sorgen ja nicht nur für ausreichende Nahrungsmittelversorgung. Wir sind ein nicht zu unterschätzender Faktor, wenn es um die Attraktivität des ländlichen Raums geht, sprich Tourismus oder selbst Wohnqualität für Einheimische. Ohne die gepflegten Kulturlandschaften wäre das so nicht zu erreichen. Ich erinnere daran, dass die Landwirtschaft Arbeitsplätze erhält, weil der vorund nachgelagerte Bereich enorm davon abhängig ist. Dennoch wollen wir neben der Versorgung des Binnenmarktes auch die Produkte, die wir darüber hinaus erzeugen, absetzen. Und da müssen wir uns selbstverständlich auch den Regeln des Weltmarktes beugen.

Was zur Folge hat, dass die Erzeugerpreise über 20 Jahre beobachtet kaum steigen, während die Preise für Betriebsmittel explodieren. Deshalb müssen Betriebe wachsen, um genügend Einkommen zu erwirtschaften, und letztlich wandert die Produktion in Gunstlagen ab. Ist das für den Alpenraum nicht fatal?

Bisher haben wir einer solchen Entwicklung trotzen können, weil wir die Produktionskosten durch Produktivitätsfortschritt, durch Zuchtfort schritt, aber auch durch technischen Fortschritt senken konnten. Die Leistungsfähigkeit einer Kuh hat sich in den letzten 20 Jahren nahezu verdoppelt. Der Robotereinsatz in der Milchviehhaltung hat Arbeitskräfte eingespart und damit größere Einheiten ermöglicht. Dennoch: Wir werden das nicht dauerhaft in diesem Umfang ausgleichen können, wenn diese Schere weiter auseinandergeht. Bisher ist es wider Erwarten gut gelungen, Bayern hat im Bundesschnitt mit 1,5 Prozent einen unterdurchschnittlichen Strukturwandel, und das obwohl viele unsere Strukturen nicht für wettbewerbsfähig halten.

Landwirte würden liebend gerne kostendeckende Preise für Fördergelder eintauschen.

Wohin mehrjährige Pläne über Ertragssoll und garantierte Preise führen, kann man sich im Osten Europas ansehen. Das Ergebnis von 70 Jahren Kommunismus kennen wir, also kann Planwirtschaft kein Ziel sein. Was wir hingegen tun können, ist den Landwirten die Möglichkeit zu eröffnen, dass sie über die Nahrungsmittelproduktion hinaus Einkommensstandbeine erschließen. In Bayern haben schon 60 Prozent unserer Betriebe neben der Nahrungsmittelproduktion ein weiteres Standbein. Sie haben entweder einen nicht unerheblichen Wald anteil, sie bieten Urlaub am Bauernhof an oder Direktvermarktung, sie haben Kommunalaufträge, sie erzeugen Energie oder sie gehen einer außerlandwirtschaftlichen Tätigkeit nach oder, oder, oder. Da gibt es so viele Bespiele. Viele stellen aktuell auf Bio um, weil hier eine höhere Wertschöpfung möglich ist, aktuell an die 15 bis 20 Cent mehr bei Milch. Die Vielfalt ist unser Reichtum, und mein Anliegen ist, dass das Selbstbewusstsein auch der kleineren Betriebe steigt. Gerade diese vermehrte Zahl an Standbeinen macht unsere Landwirte robuster und widerstandsfähiger in schwierigen Zeiten.

„Wachsen oder Weichen ist keine Antwort, sondern ein Motto von Vorgestern.“

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