
Seit drei Jahren bietet das Fairness-Büro Landwirten und Lebensmittelproduzenten anonyme und kostenlose Hilfe, wenn sie von unfairen Handelspraktiken betroffen sind. Der aktuell Fairness-Büro-Bericht zeigt deutlich ein nach wie vor starkes Ungleichgewicht in der Lebensmittelkette. So ist 2024 die Zahl der Beschwerden noch weiter gestiegen: Mehr als 800 unmittelbare und mittelbare Beschwerden wurden verzeichnet.
„Diese Zahl zeigt schwarz auf weiß, wie groß die Macht der Handelsketten gegenüber kleineren Produzenten ist. Um ein Ausnutzen von Machtpositionen zu verhindern, müssen wir kontinuierlich handeln. Denn viele Produzenten fürchten, ihren Regalplatz zu verlieren und sehen sich gezwungen unfaire Bedingungen zu akzeptieren, weil ihnen Alternativen fehlen“, betonte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig.
Auffälligkeiten im Jahr 2024
- Fleischerbetriebe unter Druck:
– Handelsketten verweigern traditionellen und familiengeführten Fleischerbetrieben trotz der steigenden Personal- und Energiekosten eine Preisanpassung für ihre Produkte.
– In einem dokumentierten Fall erhöhte eine Handelskette den Konsumentenpreis eines Produkts um 30%, während der Produzent gleichzeitig 2% weniger erhielt.
– Darüber hinaus nutzen Handelsketten sinkende Rohstoffpreise, um ihre Einkaufspreise weiter zu drücken, was die Existenz besonders von Klein- und Mittelbetrieben gefährdet. - No-Names und Image-Schaden für heimische Produzenten:
– Durch gezielt hohe Preisaufschläge auf Qualitäts-Markenprodukte durch den Handel entsteht massiver Wettbewerbsnachteil für heimische Produzenten.
– Gleichzeitig werden Eigenmarken – sog. No-Names, die oft in den eigenen Werken der Handelsketten hergestellt werden, künstlich günstig gehalten.
– Konsumenten greifen daher häufiger zu den billigeren No-Names, was Qualitäts-Markenprodukte untergräbt. - Aufgezwungene Dritt-Dienstleistungen:
– Produzenten werden von Handelsketten gezwungen, bestimmte Zahlungs- und Logistikdienstleister zu nutzen und diese zu bezahlen.
– Die Preisgestaltung dieser Drittdienstleister sind unverhältnismäßig hoch und intransparent.
– Diese Kosten zahlen am Ende des Tages nicht nur die Lieferanten, sondern auch die Konsumenten – und das zum Vorteil des Handels. - Unfaire Alleinbelieferungsverträge:
– Start-ups und Jungunternehmer werden durch exklusive Lieferverträge in vollständige Abhängigkeit von einer Handelskette gedrängt.
– Sie müssen für den Handel hohe Investitionen tätigen und Expandieren, um die (volatilen) Bestellmengen fristgerecht liefern zu können – ohne dass der Handel eine Abnahme garantiert.
– Kann der Produzent die Bestellungen nicht 100% bedienen, werden hohe Vertragsstrafen fällig.
Verstärkter Dialog mit dem Handel
Der Bericht des Fairness-Büros zeigt nicht nur unfaire Handelspraktiken, sondern auch ein zunehmendes Bewusstsein für Fairness entlang der Wertschöpfungskette. Auf Basis dieser Erkenntnisse will das Landwirtschaftsministerium aktiv das Gespräch mit den Handelsketten suchen, um auf Augenhöhe gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. “Unsere Hand ist ausgestreckt“, so der Minister.
Seitens des Handels meldete sich der private Handelsverband zur Wort. Dieser begrüßt die Vermittlungsarbeit des FB. Vereinzelte negative Beispiele wären aber nicht repräsentativ für die gelebte Praxis. Überdies führe der Lebensmitteleinzelhandel nur zu rund 5 % direkte Verhandlungen mit einzelnen Landwirten. In der Regel werde mit großen Molkereien, Agrargenossenschaften, landwirtschaftlichen Verarbeitern und Bündelbetrieben verhandelt, die ihrerseits die Preise mit den Landwirten vereinbaren.
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