Die Attraktivität von TTIP liegt darin, dass globale Konzerne die Chance wittern, wieder einmal ernten zu können ohne vorher säen zu müssen. Aber Europa hat jetzt andere Probleme zu lösen.
Im Rahmen des Marshallplans erhielten von 1948–1952 16 europäische Länder insgesamt etwa 13 Mrd. US-Dollar. Das entspricht einem heutigen Geldwert von rund 130 Mio. Dollar. Die meisten Mittel flossen in Form direkter Zuschüsse mit der Auflage, davon US-amerikanische Waren zu kaufen, und nur ein Teil als Kredit.
Hinter der humanitären Hilfe der Amerikaner standen handfeste politische und wirtschaftliche Interessen. Die USA wollten helfen, gleichzeitig wollten sie aber auch das Vorrücken des Kommunismus eindämmen und durch die wirtschaftliche Unterstützung der Länder Europas zukünftige Absatzmärkte für ihre eigenen Produkte schaffen.
Für das Programm gab es drei Gründe:
- Hilfe für die notleidende und teilweise hungernde Bevölkerung Europas
- Eindämmung der Sowjetunion und des Kommunismus sowie
- Schaffung eines Absatzmarktes für die US-amerikanische Überproduktion.
Die fast selben Ziele könnten heute für einen europäischen Marshallplan der EU für die afrikanischen Mittelmeerund Nahoststaaten gelten.
- Hilfe für die notleidende Bevölkerung Syriens, Nordafrikas und Mittelost
- Eindämmung der Flüchtlingsströme aus diesen Ländern
- Schaffung eines Absatzmarktes für die Überproduktion der EU.
Dafür muss man Geld, viel Geld in die Hand nehmen und Strukturen mit Zukunftsperspektiven vor Ort aufbauen helfen. Genauso wie das die Amerikaner mit Europa nach dem Krieg vorgezeigt haben. Eine Chance, auch für die Landwirtschaft, durch den Export von Know-how und Spezialprodukten eine Win-win-Situation für alle Beteiligten zu schaffen.
Vergesst TTIP
In den afrikanischen Mittelmeerländern inklusive des Nahen und Mittleren Ostens leben rund 250 Mio. Menschen. Mehr als die Hälfte davon sind jünger als 30 Jahre. Wenn wir ihnen jetzt – aus zutiefst eigenem europäischen Interesse – auf die Beine helfen, werden wir in ein, zwei Jahrzehnten Nachfragemärkte und einen stabilen Schutzgürtel vor Europas südlicher Haustür haben. Tun wir es nicht und bauen stattdessen nur Grenzzäune und Auffanglager, werden die Flüchtlingsströme nicht abreißen und die europäischen Gesellschaften spalten. Kein Meer, keine Wüste, kein Zaun und keine Kalaschnikows werden Menschen in ihrem Elend dauerhaft zurückhalten.
Für Europa ist es daher von entscheidender Bedeutung, treibende Kraft zu sein, diese Region zu befrieden, zu stabilisieren und den Menschen dort eine Hoffnung und Zukunftsperspektive zu geben. Nur dann werden sie sich nicht nach Europa aufmachen, sondern dort bleiben und an ihrer eigenen Zukunft mitbauen.
TTIP hat in der momentanen Situation der aufgeheizten Stimmungen quer durch Europa keine Priorität. Vergesst TTIP. Europa braucht die besten politischen, wirtschaftlichen und ökonomischen Köpfe für eine wirtschaftspolitische Perspektivengebung rund ums Mittelmeer. Im Unterschied zum komplizierten Regelwerk eines TTIP liegt dieser Zukunftsmarkt direkt vor unserer Haustür in den Ländern des Mittelmeerraumes.
Europa braucht nur die alte bäuerliche Tugend des „zuerst säen und dann ernten“ beherzigen. Das Problem von heute ist es, dass viel zu viele glauben, dass ernten ohne säen auch funktioniert.
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